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©Bild: G. SchoberFotografie
Eigentlich hat Hildegard F. alles richtig gemacht: Sie hat ihr Arbeitsleben vorbildlich begonnen, irgendwann wurde sie Mutter. Doch dann kam eine weitere Schwangerschaft – und die Scheidung. Als Alleinerziehende hatte Hildegard F. fast keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. Heute lebt sie in Altersarmut. Hier ist ihre Geschichte. Stellvertretend für so viele andere Frauenschicksale.

Wenn Hildegard F. vor einem Geldautomaten steht, dann packt sie die Angst. „Ich bekomme Schweißausbrüche“, sagt die 65-Jährige. „Denn ich weiß nie: Bin ich schon wieder im Minus?“

Diese Angst kennt F. erst seit Kurzem. Ihr ganzes Leben lang hatte sie genug Geld; nicht viel, aber genug zum Leben. Doch nun, in der Rente, sieht alles anders aus. Das Geld reicht hinten und vorn nicht mehr. Und dann auch noch das: „Ich habe erstmalig – und bestimmt letztmalig! – einen Fehler gemacht“, sagt die Rentnerin und seufzt schwer. Sie meint damit: ihren Dispokredit. Es ging alles so schnell. Bei einem Gespräch bei ihrer Bank schlug eine Beraterin vor, den Dispokredit einzurichten, damit F. in finanziellen Notfällen flüssig bleiben könnte. F. leuchtete diese Logik ein, sie bat aber um den geringsten Betrag. Der lag bei 500 Euro. Also ließ sie sich breitschlagen. „Dabei habe ich noch nie im Leben einen Kredit gehabt“, ärgert sich F. heute noch. Denn irgendwie rutschte sie bald ins Minus hinein. „Wenn ich das nur einmal wegbringen könnte“, sagt F. resigniert. „Das belastet mich wirklich jeden Tag.“ Denn der Weg heraus gestaltet sich schwierig. Woher soll sie das Geld nehmen? Ihre gesetzliche Rente liegt bei nur 838 Euro pro Monat. Damit immer noch über dem Durchschnitt der gesetzlichen Rente der Frauen in Westdeutschland – aber weit unter der Durchschnittsrente der Männer.

Man kennt mittlerweile den berüchtigten „Gender Pay Gap“ beim Stundenlohn. Doch noch viel deutlicher zeigt sich eine Lücke zwischen der Frauen- und Männer-Rente. Sie heißt „Gender Pension Gap“ und sie ist extrem: 2014 lag sie in Westdeutschland bei 42 Prozent; in Ostdeutschland liegt sie „nur“ bei 23 Prozent. Diese Zahlen hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2017 aus einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Untersuchung veröffentlicht. Demnach haben in jenem Jahr also Männer durchschnittlich 994 Euro gesetzliche Rente bekommen – und Frauen nur 576 Euro.

Ich habe mich überall beworben. Aber es wollte mich keiner mehr haben. Klar: geschieden, mit einem kleinen Kind.

Hildegard F. hat ihr Arbeitsleben vorbildlich begonnen: Mit 16 Jahren begann sie ihre Lehre bei einem Rechtsanwalt. Die schloss sie erfolgreich ab und arbeitete dann in einem Schreibbüro. Dann heiratete sie, 1982 bekam sie ihre erste Tochter. Selbst nach der Geburt arbeitete sie weiter. „So etwas wie Elternzeit gab es damals ja noch nicht“, erzählt F.

Zunächst musste sie Vollzeit arbeiten, erst nach ein paar Monaten wurde ihr erlaubt, auf zweieinhalb Tage zu reduzieren. Auf die Tochter passte derweil die Oma auf – glücklicherweise. Doch 1995 gab es einen großen Bruch in ihrem Leben. Sie wurde geschieden – und noch einmal schwanger. Die zweite Tochter kam 1996 zur Welt „spät und ungeplant“, sagt F. Wie sollte sie nur noch ein kleines Kind großziehen, und zwar ganz alleine? Die Großmutter war mittlerweile zu alt, um mitzuhelfen. Zwischenzeitlich war F. zu Siemens gewechselt. Nach dem Erziehungsurlaub musste F. diese Stelle aufgeben: Die lange Arbeitszeit, das Pendeln und gleichzeitig ohne Ganztagsbetreuung für ein kleines Kind sorgen – das war einfach nicht möglich. Also machte sich F. auf die Suche nach einer Halbtagsstelle. Doch damit sah es damals noch schlecht aus. „Ich habe mich überall beworben“, sagt F. „Aber es wollte mich keiner mehr haben. Klar: geschieden, mit einem kleinen Kind.“

Mit seinem Gender Pay Gap von 18 Prozent findet sich Deutschland im europäischen Vergleich an der – negativen – Spitze wieder.

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Klar: Auf solche Lebensläufe ist der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht eingestellt. Und so fallen auch die Gründe, die das DIW für die geschlechtsspezifische Rentenlücke auflistet, recht ernüchternd aus: Schuld sei „die niedrigere Erwerbsquote, geringere Arbeitszeiten und die familienbedingte Erwerbsunterbrechung“ der Frauen. Dazu komme das niedrigere Bildungsniveau der Frauen in älteren Generationen – und: die Lohnlücke im Stundenlohn, die zwischen Frauen und Männern auseinander klafft.

Mit seinem Gender Pay Gap von 18 Prozent findet sich Deutschland im europäischen Vergleich an der – negativen – Spitze wieder: Das Statistische Amt der Europäischen Union hat für das Jahr 2018 berechnet, dass Deutschland einen der höchsten Gender Pay Gaps hat, nur Österreich und Estland liegen darüber. So werden die schelcht bezahlten Frauen von heute zu den armen Rentnerinnen von morgen. Hildegard F. hatte irgendwann Glück, sie fand noch einen Job bei der Post. Doch trotz der vielen Arbeitsjahre ist ihre Rente nun so gering, dass sie auf staatliche Hilfe angewiesen ist, auf Wohngeld. Das ist auch bitter nötig – denn allein die Warmmiete ihrer Wohnung in München liegt über ihrem Einkommen, bei 985 Euro. Dazu kommen noch Fixkosten wie Strom und Telefon. „Den Rest brauche ich zum Einkaufen“, erklärt F.

Mittlerweile steht ihr LichtBlick zur Seite, sie bekommt eine monatliche Patenschaft von 35 Euro. „Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt F. Überhaupt versucht sie, die Situation positiv zu sehen. „Immerhin habe ich ein Dach überm Kopf“, sagt die 65-Jährige. Doch die Gesamtsituation der Rentner in Deutschland allgemein gibt ihr sehr zu denken. „Ich finde es unfair. Nicht mir gegenüber – aber anderen gegenüber. Es wird so viel Geld ausgegeben, warum also nicht mehr für die Rentner?“ Sie schüttelt ungläubig den Kopf. „Wenn ich Ende des Monats alte Frauen sehe – ganz normale Menschen! – die Pfandflaschen sammeln, dann denke ich mir: Das kann doch wirklich nicht sein.“

Nina Praun

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