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Was geht in Frauen vor, deren Rente kaum zum Leben reicht? Eine Studie und ein Buch beleuchten ein Tabu.

von Patricia Schmidt-Fischbach

Ich habe lange gedacht, ich sage es keinem Menschen, wie wenig ich kriege.“ Hilde, 71, war mit einem Reisebüro selbstständig und muss mit knapp 1.000 Euro Rente auskommen. Sie ist eine der 50 alleinstehenden Seniorinnen, die die Münchner Kulturwissenschaftlerin Dr. Irene Götz mit einem Team zu ihrer Lebenssituation befragt hat. Wie fühlt es sich an, wenn man im Alter allein ist, wenig Rente bekommt und in einer Stadt wie München mit hohen Mieten und Lebenshaltungskosten wohnt?

Es gibt auch Männer, die nur eine Minirente haben, allerdings viel weniger als Frauen. Deshalb hat sich Götz auf sie konzentriert. Doch die Scham ist auch bei den Männern groß, wenn sie im Alter in finanzielle Not geraten. Es kratzt an ihrem Selbstverständnis als Versorger, erzählt Brigitte Grung vom LichtBlick-Büro.

Götz‘ Gesprächspartnerinnen sind meist geschieden oder verwitwet, zwischen 60 und 75 Jahre alt, ohne größere Ersparnisse und müssen mit kleinen Renten auskommen. Manche stocken mit Grundsicherung im Alter auf, andere mit einem Minijob. Die Frauen hatten ganz unterschiedliche Berufe: Lektoratsassistentin, Versicherungsangestellte, Altenpflegerin, Kellnerin, Bürokraft, Lagerarbeiterin oder Reinigungskraft.

Vorurteil: Wenig Geld, selbst schuld

Zurück zu Hilde, die immerhin 40 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt, doch nie „wahnsinnig viel verdient“ hat. „Einerseits bin ich total wütend über meine kleine Rente, andererseits schäme ich mich. Ich gebe mir für meine Lage selbst die Schuld. Das ist irgendetwas Altes. Frauen meiner Generation denken, nur sie haben versagt.“ Dabei hatte sie immer gewusst, dass sie als Ledige für sich selbst würde aufkommen müssen. Gewissenhaft hatte sie ihre Rentenbescheide gelesen und wiegte sich in Sicherheit: Es wird reichen. „Aber dann wurde das Rentensystem verändert. Dadurch ist die Rente so ge-schrumpft, dass ich in einer Stadt wie München schauen muss, wie ich da irgendwie über die Runden komme.“

Ein paar Monate nach dem Gespräch hat sich etwas verändert: „Das ist sehr befreiend gewesen. Ich habe ein anderes Gefühl zu mir selbst. Es ist ja total blockierend, wenn man immer denkt: Ich habe das alles falsch gemacht.“ Sie hat erkannt, dass auch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu ihrer Armutsrente geführt haben.

Frauen meiner Generation denken, nur sie haben versagt.

Hilde M.

Reisekauffrau

Altersarmut ist nicht immer sichtbar. Viele Seniorinnen achten sehr auf ein gepflegtes Äußeres.

Fakt ist: Selbst diejenigen, die 45 Jahre in Vollzeit mit einem mittleren Einkommen beschäftigt waren, bekommen nach den Rentenabsenkungen nur eine Brutto-Rente von 1.300 Euro. Damit liegen sie in einer teuren Stadt wie München bereits an der Armutsgefährdungsgrenze. Doch welche Frau der Nachkriegs-Generation hat 45 Jahre voll auf mittlerem Einkommensniveau gearbeitet? Kaum eine.

Es war nicht einfach, die Bedürftigen zum Reden zu bringen. „Nicht alle Frauen konnten uns Einblick in ihre Lebensgeschichte geben. Einzelne Frauen waren regelrecht sprachlos. Es ist zu schmerzhaft oder schambesetzt“, schreibt Götz. Das Scheitern einer aufs ganze Leben ausgerichteten Ehe bedeutete einen tiefen Einschnitt in der Lebensplanung, der sofort große finanzielle Einschränkungen mit sich brachte und später zu einer Armutsrente führte. Doch die Seniorinnen jammern ungern und stellen lieber ihre ausgeklügelten Strategien des Haushaltens heraus. Sie kochen aus Kohlrabiblättern, die der Supermarkt ihnen überlässt, Kohlrouladen. Wer einen Tiefkühler hat und Vorräte ein-lagern kann, zählt sich zu den Glücklichen. Improvisieren ist gefragt, manchmal sind am Monatsende nur noch Spiegel-eier drin. Sie drehen das Licht ab und heizen nicht mehr ausreichend, erzählen sie. Zeitung oder Sportverein sind gekündigt, ein Spaziergang ersetzt das Schwimmbad. Kleidung wird aufgetragen. Zahnmedizinische Eingriffe werden aufgeschoben. Ihre Richtschnur ist: Den eigenständigen Lebensstil so lange wie möglich halten und die Not nach außen hin verbergen.

Den LichtBlick-Mitarbeiterinnen fällt auch auf, dass sich viele Bedürftige sehr viel Mühe mit ihrem Äußeren geben, Frisur und Nägel müssen schon „ordentlich“ aussehen. Sie genieren sich zu einer Veranstaltung zu gehen, wenn kein dem Anlass entsprechendes Kleidungsstück im Schrank ist.

„Wer mit Grundsicherung zurechtkommen muss, empfindet das massive Sich-Einschränken-Müssen als kränkenden Verlust und Stress“, beobachtet Götz. Selbst ausgefeilte Spar-Taktik und Einfallsreichtum können daraus nichts Spielerisches mehr machen. Sich an der „Tafel“ anstellen zu müssen und dabei möglicherweise von Bekannten beobachtet zu werden – eine peinigende Vorstellung auch bei vielen Bedürftigen von LichtBlick. Die Folge: Eine seelische Dauer-Anspannung verbunden mit Einsamkeit – und die schwärende Angst, langsam die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren: Was mache ich bloß, wenn jetzt auch noch … Dass LichtBlick schnell und diskret einspringt, wenn die Lage hoffnungslos scheint, wird für immer mehr Senioren zum rettenden Strohhalm.

Bloß nicht abhängig werden – das macht es vielen Rentnerinnen schwer, sich in der eigenen Familie Hilfe zu holen. Sie folgen einer eisernen Regel: Mehr geben als nehmen! Sie wollen von der Familie kein Geld. Es ist für sie fast undenkbar, von der Sorgenden zur Umsorgten zu werden. Die Frauen der Nachkriegsgeneration sind geübt darin, anderen Unterstützung zu geben und sich selbst zurückzunehmen.

Ich konnte das fühlen, dass ich an allem schuld war.“

Klara T.

Buchhändlerin

Kindheit im Mangel

Viele Nachkriegskinder schleppen zudem ein Kindheitstrauma mit sich, das ein Schamgefühl antriggert. Klara, Tochter eines amerikanischen Soldaten und einer Deutschen, kann sich genau an die Schuldgefühle erinnern, die ihr gemacht wurden, nachdem ihr Vater wieder in die USA zurückgekehrt war und sie mit ihrer Mutter zurückließ: „Meine Mama war dann natürlich schon ganz schön verbittert. Ich konnte das fühlen, dass ich an allem schuld war. Das ist nicht so einfach gewesen. Das hat mein Leben irgendwie begleitet.‘“ Das Stigma der unehelichen Geburt konnte Klara nie mehr abschütteln.

Auch Walburga, Jahrgang 1944, die ebenfalls allein mit ihrer Mutter aufgewachsen ist, nachdem der Vater im Krieg gefallen war, berichtet von ähnlichen Erfahrungen – bis hin zu körper-licher Gewalt durch einen Lehrer. Niemand stellte sich schützend vor sie: „Nichts gemacht, keiner war dabei, niemand hat was gesehen. Wir wurden auch geschlagen.“ Also verließ sie kurz vor dem Abitur die Schule. Wie sie sind damals viele Mädchen früh abgegangen – du heiratest ja doch – und fanden sich in typisch weiblichen, also schlecht bezahlten Care-Berufen oder Anlernjobs wieder. Fehlende Unterstützung und männliche Dominanz in der Familie setzte sich für manche in der Ehe fort.

Wer nach liebloser Kindheit und sozialer Ausgrenzung, Scheidung mit Kindern und kräfte-zehrendem Job dann im Alter in Armut landet, hat keine Kraft mehr. Nicht zum reden, nicht zum kämpfen. Dieser Hintergrund lässt einen verstehen, warum in vielen Karten ans LichtBlick-Büro und in manchem herzlichen Händedruck stille Dankbarkeit aufleuchtet.

Rentner stärker von Alters­armut betroffen als gedacht

Weil die amtliche Statistik Pensionäre und Rentner in einen Topf wirft, unterschätzt die Politik das Ausmaß der Alters-armut bei Rentnern. Matthias Birkwald (Die Linke) gab daher eine Auswertung des Mikrozensus in Auftrag. Ergebnis:

Fast jeder fünfte Mensch, der in einem Rentnerhaushalt lebt, muss mit weniger als 999 Euro im Monat auskommen.

Bei den Pensionären ist nicht mal einer von 100 so schlecht dran.

Quelle: https://t1p.de/4iti

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