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LichtBlick-Mitarbeiterin Jelica Komljenovic und Seniorin Edith B., 90, kennen sich seit zehn Jahren. Die beiden Frauen haben ein ganz besonderes Verhältnis – das weit über helfen und Hilfe empfangen hinausgeht. Ein kleines Lehrstück in Interviewform über Nächstenliebe.

Was bedeutet LichtBlick für Sie, Frau B.?

Es bedeutet eine Anlaufstelle für meine Seele. Ich bin schon 90 Jahre alt – und ich habe Angst, dass ich vielleicht bald sterbe. Mein Herz ist schwach, ich habe sechs Operationen hinter mir.

Ich freue mich über jeden Tag, den ich noch da bin. Und auch über jeden Besuch bei LichtBlick …

 

… und bei Frau Komljenovic?

Oh ja! Wir kennen uns ja schon ganz lange. Wissen Sie: Es ist für mich was ganz Besonderes, mit ihr zu sprechen und zu lachen. Ich komme ja kaum aus dem Haus – vor allem jetzt, während der Corona-Krise. Ich koche und putze und putze und koche. Das war’s. Meine Familie sehe ich auch selten. Frau Komljenovic ist ein wahrer Lichtblick.

 

Was bedeuten Ihnen, Frau Komljenovic, diese Besuche?

Edith B. ist für mich fast schon wie ein Familienmitglied. Es besteht so eine Vertrautheit zwischen uns beiden! Wir kennen uns ja schon seit rund zehn Jahren. Ich war gerade ganz neu bei LichtBlick – da habe ich sie zum ersten Mal gesehen.

 

Erzählen Sie doch mal genauer.

Es war bei einer Seniorenveranstaltung unseres Vereins – sie stand da, lächelte, und ich hatte das Gefühl, ich müsse jetzt zu ihr hingehen und ihr sagen: „Sie schauen so schön aus!“ Ich meine: Frau Edith B. war damals schon 80, aber das Alter spielt bei ihr keine Rolle. Sie hat einfach diese tolle Ausstrahlung! Und ich verstehe mich bis heute so gut mit ihr.

 

Wissen Sie noch, was Frau B. damals geantwortet hat?

Aber ja! Sie sagte: „Mein Mann war Italiener – der wollte immer, dass ich hübsch aussehe.“

 

Das tun Sie ja bis heute, Frau B.?

Hören Sie bitte auf, ich bin doch schon so alt!

 

Erzählen Sie uns doch ein bisschen aus Ihrem Leben.

Ich habe drei Kinder, fünf Enkel und einen Urenkel. Als ich 24 Jahre alt war, starb mein erster Mann ganz überraschend. Sekundentod, sagten die Ärzte damals. Ich stand dann allein da mit zwei kleinen Kindern: Der Bub war vier, das Mädel gerade mal zwei Monate alt. Ich habe mich ständig gefragt: Wie soll ich das jetzt schaffen? Ich bin gelernte Schneiderin. Aber da verdient man ja nicht viel – und wie sollte das überhaupt gehen mit den kleinen Kindern?

 

Und wie ging es dann?

Ich habe dann bei einer großen Münchner Firma als Sachbearbeiterin angefangen. Wir kämpften uns zu dritt irgendwie durch – und dann, rund drei Jahre später, trat mein zweiter Mann in unser Leben.

 

Sie lachen, Frau Komljenovic?

Ja. Streng genommen fuhr er in das Leben dieser kleinen Familie.

 

Edith B. legt auch mit 90 großen Wert darauf, gepflegt auszusehen.

Das Foto zeigt Frau B. mit ihrem zweiten Mann bei der Hochzeit. „Ein Pfundskerl“, sagt sie über ihn. Die beiden waren 60 Jahre verheiratet.

Das wollen wir gern genauer wissen, Frau B.

In der Tat: Ich war mit meinen Kindern in Kitzbühel. Ich hatte einen günstigen Skikurs für sie ergattert, wir waren mit dem Bus unterwegs. Doch irgendwie verpassten wir ihn dann für den Rückweg. Und so lief ich einfach an der Hauptstraße mit meinen Kindern an der Hand entlang und hoffte auf eine Mitfahrgelegenheit zurück nach München.

 

Und dann?

Dann hielt ein Auto neben uns. Mein künftiger Mann saß am Steuer. Ein Pfundskerl! Er sagte, er lebe zwar in Kitzbühel – aber er fahre uns trotzdem nach München zurück. Ich sagte: Mich gibt es nur im Dreier-Pack. Er war einverstanden. Wir waren 60 Jahre verheiratet, haben noch ein gemeinsames Kind bekommen – und die letzten 14 Jahre unserer Ehe habe ich ihn gepflegt, weil er dement war.

 

Und nach seinem Tod kam die Altersarmut für Sie?

Ja, das kann man so sagen. Leider. Ich schäme mich dafür sehr. Niemand in unserem Haus weiß, dass ich so eine arme Maus bin. Ich weiß, ich kann eigentlich nichts dafür – es sind irgendwie die Umstände. Aber ich mag das nicht zeigen.

Frau B. in unserem LichtBlick-Büro in München

Frau Komljenovic, was empfinden Sie, wenn Sie so etwas hören?

Vor allem ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Ich meine: Frau B. hat so viele Jahre gekämpft – nach dem Tod ihres ersten Mannes mit den beiden kleinen Kindern, dann diese lange Zeit, in der sie ihren zweiten Mann pflegte. Und jetzt?

 

Jetzt muss sie – betteln.

Bei LichtBlick muss niemand betteln. Aber ich weiß, dass es die Betroffenen oft so empfinden, weil sie sich für ihre Not schämen. Ich will diesen Menschen Mut zusprechen, ihnen diese Last nehmen. Frau B. ist auch eine, aus der man förmlich herauskitzeln muss, dass sie was braucht. Sie ist wirklich so bescheiden. Und so unheimlich dankbar.

 

Frau B., Hand aufs Herz: Tun Sie sich so schwer damit, Hilfe anzunehmen?

Ja. Nach dem Tod meines Mannes wollte ich auch ganz lange nicht aufs Sozialamt. Das ist doch entwürdigend! Meine Kinder wissen bis heute nicht, dass ich so arm bin – dass ich mir im Supermarkt nur Sonderangebote leisten kann. Ohne die Hilfe von LichtBlick würde ich nicht überleben können. Dieser Verein ist der Himmel für mich!

Redakteurin: Barbara Nazarewska
Bilder: Astrid Schmidhuber
Quelle: LichtBlick Magazin 2/20

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