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Sinkende Renten, steigende Altersarmut und keine Trendwende in Sicht: das deutsche Rentensystem stößt an seine Grenzen. Dem seit Jahrzehnten bekannten demografischen Wandel muss endlich mit mutigen Reformen begegnet werden, sagt Uwe-Matthias Müller. Der Vorstand des Bundesverbandes Initiative 50Plus legt die aktuelle Situation der Alterssicherung schonungslos offen – und kennt Wege aus dem Dilemma.

Herr Müller, eine aktuelle Frage gleich zu Beginn: Die VDK-Präsidentin Verena Bentele hat unlängst in einer Pressemitteilung verlauten lassen, es gäbe „keinen Grund, um vom aktuell erfolgreichen System der umlagefinanzierten, gesetzlichen Rente in Deutschland abzuweichen.“ Sehen Sie das genauso?

Frau Bentele hat doch Recht. Sie spricht von einem aktuell erfolgreichen System der umlagefinanzierten, gesetzlichen Rente in Deutschland. Ab morgen allerdings sind die guten Zeiten vorbei. Die Rentner-Generation lebt schon längere Zeit nicht allein von der umlagefinanzierten Rente, sondern in Wirklichkeit auch von starken Steuerzuschüssen, die Jahr für Jahr noch steigen. Nur so ist der demografische Faktor auszugeichen. Immer weniger Beschäftigten stehen immer mehr Rentner gegenüber. In wenigen Jahren wird Deutschland die älteste Gesellschaft aller Industriestaaten haben. Spätestens dann stellt sich die unvermeidliche Frage, wer das System der gesetzlichen, umlagefinanzierten Rente bezahlen soll.

Aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse sind etwa 15 % aller Beschäftigten von Armut und damit auch von Altersarmut bedroht. Der Wirtschaftsaufschwung, die gute Konjunktur der letzten 10 Jahre ist eben auch zu einem Teil auf dem Rücken der Arbeitnehmer entstanden. Hier hat die SPD als Regierungs-Partei und haben auch die Sozialpartner, allen voran die Gewerkschaften, versagt.

Hinzu kommt, dass durch die Nullzins-Politik der Zentralbanken das Sparen, der Deutschen liebstes Anlagevehikel, von der Rendite her unattraktiv geworden ist; und das nun schon seit 10 Jahren.

Die Umlagefinanzierung der Rente kann aufgrund der demografischen Verhältnisse in Deutschland nicht nur langfristig, nicht einmal mittelfristig noch aufrechterhalten werden. Eine grundlegende Umstellung hin zu einer kapitalgedeckten Altersvorsorge und starken Anreizen für mehr privater Vorsorge ist versäumt worden. Österreich und die Niederlande, die skandinavischen Länder haben uns vorgemacht, wie es gehen könnte. In Deutschland blockieren aber fast alle Parteien im Bundestag eine grundlegende Reform des Rentensystems, weil sie Angst haben, den Bürgern die Wahrheit zu sagen. Mit jedem Tag des Zuwartens werden die Kosten einer Systemumstellung höher, die Folgen schmerzhafter. Das interessiert aber die politisch Verantwortlichen wenig, die nur in Legislatur-Perioden denken.

Bei näherer Betrachtung unserer Gesellschaft kann leicht der Eindruck entstehen, dass Wort und Wissen gerade der älteren Generation viel zu wenig Gehör finden. Teilen Sie diese Beobachtung?

Ja, diese Einschätzung teile ich. Die zu geringe Achtung des Alters ist in Deutschland kulturell und historisch tief verwurzelt. Es würde den Rahmen unseres Gespräches sprengen, hier die geschichtlichen Entwicklungs-Linien nachzuzeichnen.

Fakt ist aber, dass ein Staat, dessen einziger nennenswerter Rohstoff die Bildung der Menschen ist, viel zu leichtfertig mit der Ausbildung der Kinder und Jugendlichen sowie der Fortbildung der Generation 50Plus umgeht.

 

Uwe-Matthias Müller, Vorstand des Bundesverbandes Initiative 50Plus

Sie sagen, der Prozess des demografischen Wandels solle aktiv gestaltet werden. Meinem Eindruck nach sollte sich auch die Politik hier etwas aktiver einbringen, gerade mit Blick auf das schon angesprochene Thema Rente. Der demografische Wandel ist seit Jahrzehnten bekannt. Wo bleibt die nötige Reform der Alterssicherungssysteme?

Schauen Sie in die Parlamente. Dort herrschen die alten, weißen Männer vor. Es wäre so wichtig, jede legislative Initiative daraufhin zu prüfen, welche Auswirkungen sie in Sachen Demografie hat. Können wir das, was beschlossen werden soll, personell und finanziell leisten? Was sagt die nicht direkt betroffene Generation dazu? Und: wir brauchen eine andere Gewichtung der Demografie in der exekutiven Politik. Das darf kein Querschnitts-Thema in der Verantwortung eines Referates im Bundesinnenministerium sein, die Verantwortung gehört in das Kanzleramt, verantwortet von einem Minister im Kabinetts-Rang.

Die Altersarmut in Deutschland steigt Jahr für Jahr an – und das wird trotz immer bedrohlicherer Zahlen weiterhin schlicht hingenommen. Wir sagen: Man erkennt die wahren Werte einer Staatsführung auch daran, wie sie mit alten Menschen umgeht. Die trotz jahrzehntelanger Erwerbsarbeit der Betroffenen wachsende materielle Not im Alter ist nicht für uns komplett inakzeptabel. Was sagen Sie?

Diese Sicht unserer gesellschaftlichen Realität ist leider richtig und völlig inakzeptabel. 15 % der Erwerbstätigen in Deutschland sind von Armut bedroht, bei den über 65jährigen sind es 18 %. Dazu kommt das wirkliche Problem der Alterseinsamkeit, dramatisch verstärkt durch die soziale Distanz der aktuellen Lockdown-Maßnahmen.

Die älteren Bürger in unserem Land machen aber keinen Krach, keinen Krawall. Sie nehmen die Dinge, wie sie sind. Sie gehen nicht auf die Straße und sie wählen unverdrossen vornehmlich die großen Parteien. Daher tun diese genannten Parteien auch viel zu wenig für eine wirkliche Reform unserer Arbeits- und Sozialwelt. So lange wir nicht politisch Verantwortliche im Bundeskanzleramt, im Arbeitsministerium, im Sozialministerium haben, die mutig genug für eine umwälzende Anpassung der bestehenden Systeme an die demografische Wirklichkeit im Lande sind, wird sich nichts ändern. Das schadet den Alten, das schadet den Jungen, das schadet der Zukunft unseres Landes und unserer Gesellschaft.

Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

 

Der Bundesverband Initiative 50Plus

Der „BVI50Plus“ sieht sich als Interessenvertretung der älteren Menschen in Deutschland und möchte in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Herausforderungen und Chancen des demografischen Wandels schaffen. Ferner wirbt der Verband für eine stärkere Förderung und Würdigung der Leistung älterer Arbeitnehmer durch die Unternehmen.
Die Initiative hat die Konferenz-Reihe „Demografie-Debatte Deutschland“ ins Leben gerufen und betreibt das Nachrichten-Portal DNEWS24.DE.

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